Die kulinarische Entdeckung eines regionalen Produktes
Von Jan Hendrik Neumann

„ … doch der König wollte ihm den verheißenen Lohn noch nicht gewähren und machte eine dritte Forderung. Der Schneider sollte ihm vor der Hochzeit erst ein Wildschwein fangen, das in dem Wald großen Schaden tat; die Jäger sollten ihm Beistand leisten. „Gerne“, sprach da der Schneider, „das ist ein Kinderspiel.“ Die Jäger nahm er nicht mit in den Wald, und sie waren’s wohl zufrieden, denn das Wildschwein hatte sie schon mehrmals so empfangen, dass sie keine Lust hatten, ihm nachzustellen. Als das Schwein nun den Schneider erblickte, lief es mit schäumendem Munde und wetzenden Zähnen auf ihn zu und wollte ihn sogleich zur Erde werfen. Der flüchtige Held aber sprang in eine Kapelle, die in der Nähe war, und gleich oben zum Fenster in einem Satze wieder hinaus. Das Schwein war hinter ihm hergelaufen, er aber hüpfte außen herum und schlug die Tür hinter ihm zu; da war das wütende Tier gefangen, das viel zu schwer und unbehilflich war, um zu dem Fenster hinaus zu springen. Das Schneiderlein rief die Jäger herbei, die mussten den Gefangenen mit eigenen Augen sehen. Der Held aber begab sich zum König, der nun – er mochte wollen oder nicht – sein Versprechen halten musste und ihm seine Tochter und das halbe Königreich übergab.“
aus: Das tapfere Schneiderlein, Kinder- und Hausmärchen Nr. 20
der Brüder Grimm, Erstausgabe 1812
Ob Königstöchter oder Königreiche, und seien es auch nur halbe: Sie sind heute, man mag es beklagen, mit Hilfe von Wildschweinen wohl nur noch in raren Ausnahmefällen zu gewinnen. Stattdessen sind die schmackhaften Schwarzkittel aber durchaus in der Lage, die überaus gespannte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in eine ganze Region zu ziehen, in unserem Falle auf den westlich von Kassel gelegenen Naturpark Habichtswald, in dessen Eichen- und Rotbuchenwäldern sie die optimale Nahrungsgrundlage finden, um – auch wenn das vielleicht nicht ihrem primären Eigeninteresse entspricht – zu einem biologisch hochwertigen, dem aktuellen, gesteigerten Ernährungsbewusstsein einschließlich Nachhaltigkeitsgebot absolut entsprechenden Naturprodukt heranzureifen, mit dem die Region ab sofort in Gestalt einer neuen Marke lukullisch auftrumpfen kann: dem Habichtswald-Schwein. Geboren wurde dieses neue, quick- wie auch quieklebendige und in großer Zahl durch eben jenen Naturpark Habichtswald streifende Erkennungszeichen als Reflex auf die durchweg positiven Erfahrungen, die man andernorts mit der Hervorhebung von Prachtexemplaren der lokalen Fauna gemacht hat, etwa dem „Rhön-Schaf“ oder dem „Meißner-Lamm“. „Toll!

Man hat eine Region, und man hat ein Gericht dazu, das mit der Region identifiziert wird“, dachte sich Jürgen Depenbrock, Geschäftsführer des Zweckverbandes Naturpark Habichtswald, als ihm von den Erfolgen dieses Modells berichtet wurde. Und er beschloss, dessen Übertragbarkeit auf den Naturpark Habichtswald zu prüfen, nach dafür als Marke geeigneten Tieren zu suchen – wobei er schnell auf das schmackhafte, im Habichtswald beheimatete Wildschwein stieß – wie auch Mitstreiter für ein solches Projekt zu begeistern, zu dessen Nutznießern nicht nur die heimische Gastronomie und die direkt vermarktenden Betriebe zählen, sondern vor allem die Bevölkerung als Ganzes. „Denn darum geht es doch“, so Depenbrock: „Die Menschen im Naturpark auf die Vorzüge ihrer Region aufmerksam zu machen, ihnen die faszinierende Landschaft, deren Kultur, Geschichte und Besonderheiten nahe zu bringen. Das ist eine ganz wesentliche Naturparkaufgabe.“

Mannigfaltige Aufgaben gibt es in diesem 474 Quadratkilometer großen Areal tagtäglich zu bewältigen, zu denen natürlich in erster Linie die Sicherstellung der Begeh- und Befahrbarkeit des Naturparks Habichtswald zählt: Allein 500 Kilometer Wanderwege gilt es hier zu betreuen, dazu kommen noch 70 Wanderparkplätze nebst Schutzhütten, Wegweisern und Wassertretanlagen, ganz zu schweigen vom Loipenspuren für die Wintersportler. Zum aktiv vom Zweckverband Naturpark Habichtswald ausgeübten Naturschutz zählen ebenso notwendige Herausforderungen wie etwa das Entbuschen von Magerrasen wie auch die tatkräftige Unterstützung des aktuellen Wildkatzenprojektes, und mit dem neuen Naturparkzentrum auf dem Dörnberg – hier werden unter anderem Schulklassen betreut – wird dem stetig wachsenden Interesse an Umweltbildung Vorschub geleistet. Eine Chance für weit mehr als nur freundliches Interesse oder Sympathie, sondern gar Liebe zur Region – wenngleich sie in diesem Falle zunächst durch den Magen geht – soll sich nun, so Depenbrocks Intention – mit dem neuen Projekt Habichtswald-Schwein eröffnen. In Heike Dietrichkeit, Tourismusmanagerin der Touristischen Arbeitsgemeinschaft Habichtswald, und Stefan Frankfurth, Gastronom und Hotelier wie auch Mitglied in der Touristischen Arbeitsgemeinschaft Habichtswald, fand Jürgen Depenbrock durch günstige Fügung schnell engagierte Partner zur Entwicklung dieses Projektes, das vom „Dreigestirn des Habichtswaldes“ – der glücklichen Zusammenkunft von Naturpark, Hotellerie und Tourismusmanagement – jetzt auch gleich in Rekordzeit umgesetzt wird. Dem unerwartet großen Zuspruch für diese Idee sofort Rechnung tragend, werden bereits vom 1. bis zum 23. Oktober die ersten drei, dem Habichtswald-Schwein und seinen Vorzügen gewidmeten „Wilden Wochen im Habichtswald“ gestartet, von Hessen-Forst / Forstamt Wolfhagen, den Kreisjagdvereinen und mittlerweile 18 renommierten Gastronomiebetrieben der Region getragen, die während dieser Zeit für ein verführerisches Angebot entsprechender Wilschwein-Spezialitäten wie auch ein ansprechendes Rahmenprogramm sorgen.

„Mit dem Habichtswald-Schwein schaffen wir ein geschmackvolles und absolut authentisches Alleinstellungsmerkmal“, erläutert Heike Dietrichkeit.

„Das wird unsere Region entscheidend bereichern und mit Sicherheit sowohl das Interesse regionaler wie auch überregionaler Touristen wecken.“ Stefan Frankfurth kann ihr da nur beipflichten: „Kulinarisch auf unseren Naturpark Habichtswald hinzuweisen – der dynamische Zuspruch von gleich 17 meiner Kollegen zu diesem Projekt stimmt uns wirklich sehr optimistisch, da es wohl gelungen ist, diese Idee in ihrer ganzen Tragweite richtig zu vermitteln.“ Welche Tragweite das Projekt Habichtswald-Schwein ganz konkret für den Alltag sowohl in Hotel- und Restaurantküchen wie auch für den privaten heimischen Herd haben wird, davon konnte sich bereits vor dem Start der „Wilden Wochen“ eine kleine Schar Auserwählter im Praxistest überzeugen: Zur Einstimmung auf die Projekttage hatte Stefan Frankfurth kurz entschlossen 15 funktional mit dem Naturpark Habichtswald verbundene Personen zu einem „Küchenfest“ in sein Parkhotel Emstaler Höhe geladen, bei dem sie Gelegenheit hatten, unter Mithilfe sowie kundiger Anleitung des Hausherren wie auch seines zertifizierten „Märchenkochs“ Dieter Amelung selbst Wildschweinfleisch zuzubereiten. „Das war schon sehr überzeugend“, so Jürgen Depenbrock. „Direkt mitzuerleben, wie unkompliziert das eigentlich ist. Denn im Prinzip lässt sich Wildschweinfleisch wie ganz normales Schweinefleisch zubereiten.“ Nicht nur deshalb schätzt Stefan Frankfurth die Wildschweine aus dem Naturpark Habichtswald, eben jene jetzt als Marke neu entdeckten Habichtswald-Schweine, schon lange: „Durch ihr völlig natürliches Leben hat das Fleisch dieser Tiere einen ganz einzigartigen Geschmack. Es verfügt über eine kernige, feste Struktur, besonders bei jungen Tieren, wobei, um ein wenig ins Detail zu gehen, der hohe Anteil intramuskulären Fettes als Geschmacksträger dient. Zudem hat das Muskelfleisch nur einen sehr geringen Wasseranteil und bei der Zubereitung entstehen kaum Bratsaftverluste.“ Vor allem jedoch für gesundheitsbewusste Verbraucher kann das Habichtswald-Schwein mit weiteren verlockenden Vorzügen aufwarten, wie Stefan Frankfurth zu berichten weiß: „Denn sein Fleisch ist wesentlich magerer als normales Schweinefleisch. Und durch die überwiegend pflanzliche Ernährung enthält es auch weit weniger Cholesterin.“

Dazu komme, so Frankfurth, dass es sich – eingelegt in verschiedene Beizen, Marinaden und Gewürztunken – ebenfalls gut marinieren lasse, wodurch das Fleisch besonders zart werde und, mittels Kräutern und Gewürzen, auch noch um zahlreiche Aromen erweiterbar sei. Das Habichtswald-Schwein – gemästet vom reichen Angebot an Eicheln und Bucheckern im Naturpark Habichtswald, nicht zuletzt einem Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Regionen – verfügt mithin geradezu naturgemäß über Fleisch von ganz besonders hoher Qualität. Diese könnte allerdings dennoch wortwörtlich in letzter Sekunde beeinträchtigt werden, wenn nämlich das Tier falsch zu Tode käme, etwa bei einer Treibjagd, die zwangsläufig zu einem hohen Adrenalingehalt im Blut führt, mit entsprechenden Geschmacksauswirkungen. „Die Tiere, von denen das bei uns verarbeitete Wildfleisch aus dem Habichtswald stammt, werden daher grundsätzlich fachmännisch und stressfrei erlegt“, fasst Markus Ritter, Metzgermeister aus Naumburg-Altendorf, die sich daraus ableitenden Konsequenzen zusammen. „Somit eignet sich dieses Fleisch dann sowohl für kurzgebratenes wie Steak und Bratwurst als auch für Ahle Wurst und Schinken.“ Wer das Fleisch von fachmännisch und stressfrei erlegten Habichtswald- Schweinen selbst zubereiten möchte, findet ein reichhaltiges Angebot in dem von Forstamt Wolfhagen betriebenen, zertifizierten „Waldladen Habichtswald“ – eine Empfehlung von Uwe Zindel, Leiter des Forstamts Wolfhagen, der die „neuen Objekte der Begierde“, die Habichtswald-Schweine, nahezu täglich in voller Schönheit vor Augen hat, inmitten ihrer angestammten Heimat: „Der Habichtswald ist vielleicht die schönste Waldlandschaft in Hessen“, so der Forstexperte. „Vielfältige Waldstrukturen, im Wechsel mit großen Wiesen und Hecken, bieten den Habichtswald-Schweinen wahrlich einen Lebensraum zum Wohlfühlen. Das kann auch jeder gleich herausschmecken, wenn ihm ein Leckerbissen dieser Spezies serviert wird: Außerordentlich schmackhaft, reich an Mineralstoffen, sehr bekömmlich und dabei kalorienarm – eine wahre Gaumenfreude.“